Takt: Über Nähe und Distanz im menschlichen Umgang (zu Klampen Essays) (German Edition)
Martin Schereramazon.com
Takt: Über Nähe und Distanz im menschlichen Umgang (zu Klampen Essays) (German Edition)
ALLE Konventionen tendieren zum Faden. Mögen sie auch entlastend wirken, so verwandeln sie sich doch schnell in Zumutungen.
Verhehlung (lat. dissimulatio) heißt für Accetto, die Dinge nicht so zu benennen, wie sie sind. Man verhehlt Tatsächliches. Im Gegensatz dazu heuchelt der Simulant etwas vor, das nicht ist.
Die Sprache des Verhehlens stellt ein atmosphärisches Projekt dar; dazu gehört ganz wesentlich eine Unterbrechung des permanenten Urteilens, ein Aussetzen der maßlosen Direktheit, eine Pause vom Unverblümten.
Das Bewusstsein wendet sich vom Metaphysischen zum Metaphorischen, vom Wahren zum Poetischen.
Der Romancier Wilhelm Genazino hat dazu bemerkt: »Oft lügen wir nicht, weil wir etwas vertuschen wollen, sondern wir lügen, weil wir nicht sagen können oder wollen, wie merkwürdig und sonderbar die Wirklichkeit für uns ist. Weite Teile der Realität sind enttäuschend und unserer permanenten Aufschönung bedürftig.«
Hier kommt die Unterscheidung zwischen Lüge und Verhehlung ins Spiel. Ein Lügner sucht seinen Vorteil und nimmt den Schaden anderer dafür in Kauf.
Schwester der Schmeichelei ist die Verleumdung, entstanden aus Neid und Hass, aber auch aus der Erfahrung vergeblichen Bezirzens.
Höflichkeit wird zur Kulturleistung dort, wo persönliche Zuneigung fehlt und doch das Selbstgefühl des anderen gestärkt werden soll. Freundlichkeit kennzeichnet eben gerade nicht den Umgang mit Freunden. Sie markiert eine Distanz, die nicht in Desinteresse oder Ablehnung entgleiten soll. Dadurch kann Freundlichkeit wiederum Sympathien erzeugen.
Die Schmeichelei gilt nicht der Person selbst, sondern ihrem Status.